Viele Lehrende und auch die Presse haben Sorgen, dass Studierende Aufgaben zunehmend an KI „auslagern“ (z.B. Spirlet, 2025; Schnydrig & Schuppisser, 2025) – ein Prozess, der als Cognitive Offloading (vgl. u.a. Buck & Limburg, 2024) bezeichnet wird. Statt selbst zu denken, zu analysieren oder zu schreiben, übernimmt eine Maschine wie ChatGPT oder Claude die Arbeit. Was daraus folgt ist natürlich fatal: Die Studierenden müssen sich sehr viel weniger intensive mit dem Lerngegenstand beschäftigen, Lernen dadurch weniger tief und weniger nachhaltig. Im schlimmsten Fall lernen sie nichts als Prompting – und möglicherweise nicht mal das.
Diese Sorge ist nachvollziehbar und definitive nicht von der Hand zu weisen, aber genau genommen liegt ihr das Bild der „faulen und unmotivierten Studierenden“ zugrunde. Solche Studierende gibt es mit Sicherheit, aber es sind definitive auch nicht alle so. So gibt es sogar Schüler:innen, die sich über Mitschüler:innen beschweren, die KI zum Offloading nutzen (vgl. news4teachers, 2025). Sicher ist: Es ist nicht nur Faulheit, die zu Offloading führt, sondern auch Zeitdruck, Überforderung, unklaren Aufgabenstellungen oder fehlende Relevanz der Aufgaben (Bertram Gallant & Rettinger, 2025).
Offloading vollständig zu verhindern, ist wohl kaum möglich – aber die Auftretenswahrscheinlichkeit lässt sich durchaus reduzieren. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen konkrete Gestaltungsmöglichkeiten vorstellen, aus denen Sie sich je nach Kontext die jeweils passenden für Ihre Situation auswählen können. Ziel ist es, Lehrveranstaltungen zu gestalten, in denen Studierende motiviert, fähig und bereit sind, Aufgaben selbst zu bearbeiten – auch im Zeitalter generativer KI.
Kurzer Einschub
In diesem Beitrag möchte ich nicht den Eindruck erwecken,
- dass ich KI am liebsten aus der Lehre verbannen möchte, oder
- dass ich der Überzeugung sei,
- dass KI dem Lernen grundsätzlich schade, oder
- dass KI-Kompetenzen für unsere Studierenden nicht wichtig seien.
Dieser Meinung bin ich überhaupt nicht.
Allerdings bin ich der Überzeugung, dass Studierende im Lernprozess manche Dinge einfach selbst machen müssen, um sie zu lernen, weil das Offloading nicht zum Lernen führt. Und ich bin auch der Überzeugung, dass in jedem Studium Kompetenzen erworben werden müssen, die die Studierenden auch künftig OHNE KI beherrschen müssen. Und es ist dieser Ausschnitt des großen Themas „Lehren und Lernen im Zeitalter von KI“, über die ich hier heute schreibe.
Darüber wie und wo wir KI-Kompetenzen fördern können und sollten, und wie KI auch Curricula verändern sollte oder das Lernen gut unterstützen kann, berichte ich dann ein anderes Mal wieder. Sie finden dazu auch Anregungen in unserem Selbstlernkurs „Teaching for AI – so fördern Sie die KI-Kompetenzen Ihrer Studierenden nebenbei“.
Nun also zu den Maßnahmen, die die Auftretenswahrscheinlichkeit von Offloading in Lehrveranstaltungen reduzieren können.
1. Gestalten Sie Aufgaben, die zum Lernen einladen
Offloading passiert unter anderem dann, wenn Aufgaben rein reproduktiv sind und für die Studierenden irrelevant erscheinen. Didaktisch gut gestaltete Aufgaben hingegen können Offloading dagegen reduzieren, denn sie fördern die intrinsische Motivation (vgl. Bertram Gallant & Rettinger, 2025). Hilfreich ist es deshalb, bedeutsame und für die Studierenden als relevant erkannte Aufgaben zu stellen. Wenn Aufgaben an echte Probleme aus der Praxis anknüpfen und Interessen der Studierenden berücksichtigen, steigt die intrinsische Motivation, denn Neugier, spielerische Elemente und Autonomie führen zu Engagement. Studierende möchten die Aufgaben dann gar nicht „offloaden”, sondern möchten sie selbst bearbeiten.
Hilfreich sind hier
- Praxisbeispiele
- Projekte
- Provokante Fragen, die nicht nur mit “richtig” und “falsch” beantwortet werden können
2. Reduzieren Sie unnötigen Zeitdruck auf Ihre Studierenden
Wir kennen das alle: Wenn wir unter Zeitdruck sind, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir Abkürzungen nehmen. Insofern ist einer der stärksten Treiber für Offloading stets der Zeitdruck (vgl. Bertram Gallant & Rettinger, 2025).
Was können wir hier als Lehrende dagegen tun?
- Geben Sie Aufgaben, die die Studierenden zwar fordern, aber nicht überfordern.
- Nehmen Sie den Druck, indem nicht jede Aufgabe benotet wird.
- Informieren Sie die Studierenden rechtzeitig über Aufgaben, so dass sie sich ihre Zeit auch einteilen können.
- Bieten Sie, wo immer möglich, auch flexiblere Zeitmodelle oder Abgabefenster an (nicht jede zu späte Abgabe sollte sanktioniert werden), denn auch Studierende haben ein Leben, das manchmal anders spielt, als sie es sich wünschen.
3. Schaffen Sie eine vertrauensvolle und unterstützende Lernatmosphäre
Eine positive Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden führt dazu, dass Studierende sich ihren Lehrenden mehr „verpflichtet” fühlen: sie möchten Sie dann nicht „belügen/betrügen”, indem sie ihre Aufgaben von der KI erledigen lassen. Deshalb senkt eine positive Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Studierenden die Wahrscheinlichkeit für Offloading und erhöht gleichzeitig die Motivation Ihrer Studierenden. Deshalb:
- Zeigen Sie sich menschlich und verständnisvoll.
- Gehen Sie vom Guten in den Studierenden aus (positives Studierendenbild) – Sie wissen ja, wie man in den Wald hineinruft, …
- Leben Sie ein Growth Mindset (vgl. Dweck, 2006), indem Sie die Studierenden Ihre Überzeugung spüren lassen, dass sie in Ihrer Lehrveranstaltung erfolgreich sein können.
- Leben Sie eine offene Fehlerkultur und „bestrafen” nicht alles und benoten nicht ständig alles.
- Nutzen Sie Formulierungen wie
- “Der Lernweg zählt.“
- „Versuche sind wertvoll – auch wenn sie nicht perfekt sind.“
- “Sie können das NOCH nicht.”
- “Sie schaffen NOCH mehr.”
4. Fördern Sie die KI-Kompetenzen Ihrer Studierenden nebenbei
KI beim Lernen einzusetzen, ist definitiv nicht per se schädlich für das Lernen, sondern kann das Lernen als auch das kritische Denken unterstützen (vgl. u.a. Gehrlich, 2025; Kavadella et al, 2024). Dafür müssen die Studierenden die KI jedoch bewusst einsetzen. Deshalb
- Thematisieren Sie den Umgang mit KI mit Ihren Studierenden.
- Besprechen Sie Grenzen und Chancen von KI mit Ihren Studierenden.
- Zeigen Sie Beispiele für gute und schlechte KI-Nutzung.
Wenn Sie hier konkrete Anregungen suchen, schauen Sie doch gerne mal in unseren Selbstlernkurs „Teaching for AI – so fördern Sie die KI-Kompetenzen Ihrer Studierenden nebenbei“.
5. Appellieren Sie an die Selbstverantwortung Ihrer Studierenden
Statt KI zu verbieten, sollte gemeinsam erarbeitet werden, was produktive KI-Nutzung bedeutet und was dem eigenen Lernen schadet. Dabei hilft die Reflexion über langfristige Ziele (Berufsfähigkeit, wissenschaftliche Integrität) mehr als über kurzfristige.
Sprechen Sie mit Studierenden deshalb auch offen darüber, wie Sie ihnen empfehlen, KI einzusetzen und zu nutzen.
6. Belohnen Sie Engagement – nicht nur das „richtige“ Ergebnis
Belohnen Sie auch den Prozess und das Engagement, nicht nur die richtige Lösung, denn zum Lernen gehören Fehler dazu. Niemand lernt, ohne Fehler zu machen. Wenn die Studierenden jedoch das Gefühl haben, dass sie keine Fehler machen dürfen, weil ständig alles benotet wird, dann wären sie ja „blöd“, wenn sie die KI nicht nutzen würden, wenn sie davon ausgehen müssen, dass die KI ihnen zum richtigen Ergebnis verhilft, sie selbst es aber nicht hinbekommen. In diesem Fall wird Offloading dann sogar gewählt, um negative Konsequenzen zu vermeiden. Benoten Sie deshalb nicht jeden Zwischenschritt, belohnen Sie stattdessen Engagement.
Wie das konkret geht, lernen Sie in meinem Selbstlernkurs zum Thema „Prüfungskultur für Prüfungen und Leistungsnachweise in einer Welt mit generativer KI“.
7. Sehen Sie formative Feedbackschleifen im Lernprozess vor
Zu lehren heißt Lernen unterstützen. In unserer Praxis wird aber oft nur gelehrt, indem Wissen präsentiert wird. Beim eigentlichen Lernen sind die Studierenden dann alleine, z.B. wenn sie alleine Übungsaufgaben bearbeiten müssen, die gleich benotet werden, oder wenn sie beim Anfertigen von Seminararbeiten eigentlich nicht mehr Unterstützung erhalten als vielleicht ein bis zwei Sprechstunden-Termine. Aber wo dürfen die Studierenden denn dann Fehler machen, die doch so genuin zum Lernprozess dazugehören? Und wo erhalten sie Unterstützung von den Expert:innen?
Feedback ist eine der didaktischen Maßnahmen, die am wirksamsten sind (vgl. z.B. Hattie, 2023). Warum kommt es also so wenig in unserer Lehre vor?
Studierenden sollten nicht erst auf das Endprodukt Feedback erhalten, denn der dadurch entstehende Druck begünstigt das Offloading an die KI. Sehen Sie deshalb Zwischenfeedback, Peer-Feedback oder Mini-Consultations in Präsenz oder online vor.
Wenn Studierende erleben, dass Arbeit an Zwischenschritten geschätzt wird und sie sich dadurch verbessern können, steigt die Bereitschaft, sich anzustrengen, denn dann erleben sie sich als kompetent (vgl. u.a. Deci & Ryan, 1993) und haben nicht den Eindruck ständig unter Notendruck zu stehen und deshalb „performen” zu müssen.
8. Regen Sie Reflexionsprozesse Ihrer Studierenden an
Über etwas reflektieren zu müssen, führt automatisch zu einer Beschäftigung und Engagement und damit wird dadurch Lernen unterstützt. Natürlich kann ein KI-Sprachmodell auch Reflexionen schreiben, aber diese sind zwangsläufig inhaltsleer und oberflächlich, wenn nicht SEHR viel gepromptet wird. Reflexionsaufgaben werden die Studierenden deshalb mit recht hoher Wahrscheinlichkeit nicht „offloaden“.
Regen Sie deshalb Ihre Studierenden zur Reflexion über ihren eigenen Lernprozess an.
Sie können zum Beispiel fragen:
- „Welche Schritte waren schwierig, und wie bist du damit umgegangen?“
- „Welche Rolle spielte KI in diesem Prozess, wie hast du sie eingesetzt, und zu welchem Ergebnis hat das geführt?“
Fazit
Offloading lässt sich nicht vollständig vermeiden. Aber Sie als Lehrende können viel dafür tun, deren Auftretenswahrscheinlichkeit zu reduzieren, indem sie bedeutsame Aufgaben stellen, für eine gute Beziehung zwischen sich und den Studierenden sorgen, mit Studierenden offen und ehrlich über die KI-Nutzung und deren mögliche negative Auswirkungen auf das Lernen sprechen, KI-Kompetenzen fördern und den Prozess fokussieren, indem Sie eine positive Fehlerkultur leben, Feedbackschleifen einbauen, Reflexionsanlässe schaffen und nicht alles immer gleich benoten.
Suchen Sie sich also ein paar der genannten Maßnahmen aus und setzen Sie sie in Ihrer Lehre um. Ich bin sicher, dass Sie damit positive Erfahrungen machen werden.
Wenn Sie weitere Ideen und noch konkretere Beispiele suchen, wie Sie eine solche Lernkultur schaffen, in der Studierende auch im Zeitalter von KI Verantwortung für ihre Lernen übernehmen, dann schauen Sie doch auch mal in meinen Selbstlernkurs zum Thema „Prüfungskultur für Prüfungen und Leistungsnachweise in einer Welt mit generativer KI“ oder den zum Thema „Wissenschaftliche Seminar- und Abschlussarbeiten in Zeiten von KI betreuen“.
Anregungen zur Förderung von KI-Kompetenz finden Sie im Selbstlernkurs „Teaching for AI – so fördern Sie die KI-Kompetenzen Ihrer Studierenden nebenbei“.



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