Seit der Corona-Krise haben Lehrende im Netz viele theoretische Empfehlungen, Linklisten und Tooltips für die Online-Lehre gesammelt. Ist es nicht an der Zeit, dass wir auch einmal sammeln, was wir in den letzten Wochen gelernt und ausprobiert haben? Diese wirklich sehr gute Idee führte zum Beginn einer agilen Beitragsparade, #3weeks2learn.

In meinem Beitrag zur Parade möchte ich kurz erzählen, wie ich einen Workshoptag mit Studierenden spontan in einen Online-Kurs verwandelte.

1. Die Ausgangssituation

24 Studierende an der Uni Freiburg haben einen Kurs im Ergänzungsbereich belegt, Thema: Lerntechniken und Zeitmanagement. Format: Vier ganze Workshoptage, immer einmal die Woche, vier Wochen lang. Die ersten drei haben bereits stattgefunden, wir kennen uns also, haben eine gute Stimmung in der Gruppe. Bisher habe ich die Studierenden, die aus allen möglichen Studiengängen stammen und größtenteils im 1. oder 3. Semester sind, viel mit Diskussionen, Reflexionsaufgaben und Gruppenarbeiten aktiviert. Die Studierenden waren sehr diskussionsfreudig. Meine Vorträge waren häufig, aber kurz, nie länger als zehn Minuten. Auf ILIAS wurden immer die Folien hochgeladen, es gab auch ein Forum, das aber nie genutzt wurde.

2. Der Einschnitt

Am Freitag heißt es, der ganztägige Abschlusstermin am nächsten Donnerstag muss coronabedingt ausfallen.

3. Das neue Konzept

Ich überlege mir ein Flipped-Classroom-Konzept: Ich werde im bestehenden ILIAS-Kurs Materialien zur Verfügung stellen und diese dann im Web-Seminar mit den Studierenden am Donnerstag besprechen. Die Veranstalterin ist damit einverstanden.

4. Die Umsetzung der Informationsdarbietung

Ich entdecke in ILIAS die „Lernsequenz“. Damit kann man Materialien und Texte in chronologischen, linearen Seiten bündeln – also einen geschlossenen Online-Kurs erstellen. Ich nutze also die Lernsequenz für den Flipped Classroom. Ich überlege mir zunächst, was ich den Studierenden vermittelt hätte. Zu manchen Themen kenne ich gute Youtube-Videos. Die verlinke ich in der Lernsequenz. Zu einem anderen Thema gibt es nichts Passendes – also mache ich ein eigenes Lernvideo. Ich nutze meine Folien und nehme sie inkl. Vertonung über PowerPoint auf. Es kommt ein passables Video dabei rum. Ich lade es auf Youtube hoch und verlinke es ebenfalls in der ILIAS-Lernsequenz.

Die Lernsequenz in ILIAS
So sieht die Startseite der Lernsequenz aus. Rechts die Übersicht.

5. Die Umsetzung der Aktivierung im Online-Kurs

Die Studierenden hatten sich schon einmal in ein Google Doc (über ILIAS verlinkt) für Themen eingetragen. Sie wissen also, wie Google Docs funktionieren. Ich lasse den Datenschutz also mal ein bisschen links liegen und verlinke in der Lernsequenz weitere Google Docs mit Aktivierungen für die Teilnehmenden: VOR den Videos sollen sie sich überlegen, was sie bereits zu den Themen wissen. NACH dem Video können sie offene Fragen notieren. In den Google Docs tippen sie anonym ihre Notizen ein.

6. Die Organisation

Ich schicke den Studierenden am Dienstag über ILIAS eine Email und erkläre ihnen den neuen Aufbau. Am Donnerstagvormittag, während der Workshop stattgefunden hätte, sollen sie sich zwei Stunden für die Bearbeitung der Lernsequenz einplanen (ich schätze, dass sie höchstens eine Stunde brauchen werden, aber ich möchte die Studierenden lieber positiv überraschen). Um 14.00 treffen wir uns dann im Web-Seminar. Wer Fragen hat, soll mir eine Mail, SMS oder Whatsapp-Nachricht schreiben.

7. Das Web-Seminar

Im Web-Seminar besprechen wir offene Fragen zu den Inhalten und zur Organisation. Die Studierenden schreiben im Chat, ich spreche in die Kamera. Ich habe eine schlichte PowerPoint mit Fragen und Arbeitsaufträgen vorbereitet. Es ergeben sich tatsächlich spannende offene Fragen – was kann man tun, wenn man sich überwältigt fühlt und nicht weiß, wo man anfangen soll? – über die wir gemeinsam brainstormen. Die Studierenden schreiben ihre Ideen in den Chat. Ich bündele sie auf dem Whiteboard und sage meine Meinung dazu.

Für den Workshop war ursprünglich geplant, dass die Studierenden in Gruppen eine Visualisierung der Kursinhalte erstellen. Das ist eine der offiziellen Studienleistungen, also sind sie natürlich neugierig, wie es jetzt damit aussieht. Ich erkläre, dass sie nun 10 Minuten Zeit bekommen werden, um eine Visualisierung auf einem Blatt Papier zu erstellen. Dieses sollen sie dann fotografieren und mir per Email schicken. Danach haben sie weitere 10 Minuten Pause, während ich die Fotos in meine PowerPoint bündele. Das klappt auch sehr gut, wir schauen uns dann im Web-Seminar alle Fotos an.

8. Die Nachbereitung

Später tippe ich die Whiteboard-Inhalte noch in meine PowerPoint-Präsentation rein. Die Folien mit den Visualisierungs-Fotos, die Google Docs und alles weitere stelle ich schön nummeriert und mit sinnvollen Titeln auf ILIAS, damit man alles nachvollziehen kann.

NUmmerierte Medien in ILIAS
Die Nummerierung und die sinnvollen Titel ordnen die Dateien.

9. Die Evaluation

Die Evaluationsbögen für die Veranstaltung liegen nutzlos bei mir im Büro, die Uni hat keine Möglichkeit zur Online-Evaluation. Ich setze also kurz vor dem Web-Seminar eine Umfrage bei Google Forms um und gebe den Studierenden im Web-Seminar einen Link dazu. Ich weise darauf hin, dass die Umfrage anonym ist, aber Google ihre IP-Adresse vermutlich speichert und dass sie sich nicht gezwungen fühlen sollen, dort teilzunehmen. Zehn Studierende hinterlassen dennoch ein Feedback, das sehr positiv ausfällt.

Evaluation
Ein Auszug aus den Evaluationsergebnissen.

10. Was ich daraus gelernt habe

Studierende sind bereit, mit flexiblen Planänderungen umzugehen; was sie jedoch brauchen, ist eine sehr klare visuelle wie auch organisatorische Strukturierung. Sie wollen sich gut zurechtfinden können und sie brauchen klare Arbeitsaufträge. Eine gewisse Offenheit ist jedoch wichtig – Studierende wollen nicht das Gefühl kriegen, dass sie wegen einer technischen Schwierigkeit aus dem Kurs fliegen könnten. Sie schätzen vor allem den Austausch, die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die zwischenmenschliche Beziehung ist im virtuellen Raum genauso wichtig wie zuvor. Mein Hauptfazit: Online-Lehre muss nicht „perfekt“ sein, und sie kann wirklich Spaß machen.

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