ein Gastbeitrag von Dr. Tamara Rachbauer

Nicht erst seit dem Beginn des ersten Corona-Semesters im Sommer 2020 stehen Studierende vor der Herausforderung, sich Inhalte im Gegensatz zum gewohnten Schulalltag im Selbststudium aneignen und damit verbunden Arbeitszeiten selbstgesteuert organisieren zu müssen. Doch hat sich die Situation aufgrund der momentanen Einschränkungen in der Präsenzlehre im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie noch zusätzlich verschärft. Asynchrone Online-Selbstlernkurse ersetzen stellenweise komplett bzw. größtenteils die virtuellen Präsenzphasen via Videokonferenz, wodurch sich der Anteil des Selbststudiums noch einmal stark erhöht hat.

Herausforderungen für digitale Musik- Lehrveranstaltungen

Zusätzlich ist das Bilden von Lerngruppen, um sich so beim Selbststudium gegenseitig zu unterstützen, nicht mehr wie bisher möglich. Hier haben höhere Semester aber noch den Vorteil, dass sie sich bereits kennengelernt haben bzw. bereits seit mehreren Semestern kennen und so relativ einfach auf den virtuellen Raum und das Bilden von virtuellen Lerngruppen umsteigen können. Im Gegensatz dazu fehlt gerade Erstsemestern die Möglichkeit des gegenseitigen Kennenlernens, das gerade zu Studienbegin bzw. in den ersten beiden Semestern stattfindet. Dies erschwert das gegenseitige Vernetzen und das Bilden von Lerngruppen, die aber wiederum einen großen Beitrag leisten, wenn es darum geht das Selbststudium leichter meistern zu können. Deshalb fühlen sich auch insbesondere Studienanfängerinnen und -anfänger aber auch höhere Semester mit der für sie ungewohnten und neuen Situation überfordert und wünschen sich gezielte Unterstützung im aktuell vorrangig durchgeführten Online-Selbststudium.

Aber auch, wenn sich Studierende in virtuellen Lerngruppen zusammenfinden, stehen insbesondere Musikstudierende vor einer Sondersituation. Denn das online miteinander Musizieren und Interagieren z.B. im Orchester, Chor oder Ensemble kann sich aufgrund von Latenzproblemen oftmals schwierig gestalten. Dieselbe Problematik tritt aber auch beim individuellen Gesangs- und Instrumentalunterricht mit den Dozierenden auf.

Der folgende Beitrag befasst sich vor dem Hintergrund dieser Problematiken gezielt damit, wie eine dementsprechende Unterstützung der Studierenden in der Hochschulpraxis aussehen könnte. Dazu wird die Umsetzung der bereits in der Präsenzlehre bewährten Methode des Blended Learning in Kombination mit Social Video Learning anhand eines konkreten Praxisbeispiels aus der universitären Musikhochschullehre gezeigt.

Möchten Sie mehr wissen? Dann schauen Sie doch mal in meinem Selbstlernkurs “Musik unterrichten digital und online? So geht’s (nicht nur) in Zeiten von Corona” vorbei.

Blended und Social Video Learning mit edubreak CAMPUS und der edubreak APP

Unter dem Begriff bzw. der Lehr-/Lernmethode „Social Video Learning“ versteht Vohle „einen didaktischen Paradigmenwechsel beim Lernen mit Videos: weg von einem rezeptiven Lernmedium hin zu einem dialogischen Austauschprozess via Videokommentar, der Kollaboration ermöglicht“ (2016, S.176). So ermöglicht der Einsatz dieser didaktisch–technischen Lehr-/Lernmethode den Lernenden, beliebiges Videomaterial zeitmarkengenau mittels Text, Zeichnungen, Symbolen, Audio etc. selbst zu kommentieren, Stichwort Selbstreflexion, und diese Kommentare durch Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie durch Lehrende erneut kommentieren zu lassen, Stichwort Peer-Feedback (Bauer, 2017; Mayer-Frühwirth, 2017; Vohle & Reinmann, 2014).

Zu den technischen Funktionalitäten von Social Video Learning gehören dementsprechend

  • Videos,
  • Annotationswerkzeuge und
  • Austauschmöglichkeiten.

Diese Funktionalitäten „eröffnen vielfältige didaktische Szenarien zur Reflexion, Kollaboration und Dokumentation, die in den Jahren 2009 bis 2019 in der beruflichen Bildung (Fahrlehrer*innen, Führungskräfte), in der akademischen Bildung (Musiker*innen, Lehrer*innen, Ingenieur*innen etc.) und vor allem in der Ausbildung von Sporttrainer*innen als Train-the-Trainer-Programm erprobt, weiterentwickelt und teils nachhaltig implementiert wurden“ (Vohle, 2017, 2019).

Eine Plattform, die das Social Video Learning gezielt umsetzt, ist die kostenpflichtige Video-Lernplattform edubreak CAMPUS. Der Schwerpunkt der Plattform liegt dabei auf der Videoannotation, das heißt der Kommentierungsmöglichkeit von Videos durch die Lernenden selbst, aber auch durch Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie Lehrende. Herzstück der Video-Lernplattform edubreak CAMPUS ist der Videoplayer mit Annotationswerkzeugen zum Erstellen von Videokommentaren wie

  • einer „Ampel“ mit roter, gelber und grüner Auswahloption zur schnellen Einordnung von Situationen wie kritisch, unsicher, gelungen,
  • einer Wettermetapher zur Einschätzung von Emotionen. Dabei steht das Gewitter für negative Emotionen; die Sonne für positive Emotionen
  • und beliebig integrierbare Bilder z.B. zur Einordnung von Gestik, Mimik und Sprache (Ghostthinker, 2021).

Neben dem Videoplayer stellt edubreak CAMPUS folgende Funktionen zur Verfügung

  • einen Weblog zum Verfassen individueller oder kollaborativer Beiträge,
  • ein E-Portfolio zum Sammeln, Selektieren und Kommentieren von Videobeiträgen,
  • einen eigenen Aufgabenbereich, in welchen spezielle Instruktionen, Erfüllungskriterien sowie der Bearbeitungszeitraum festgelegt werden können,
  • einen Kursbereich mit Upload-Funktion für Dokumente und einer Zeitübersicht sowie
  • ein eigenes Feedback-Cockpit, über welches ein persönliches Feedback an die Lernenden möglich ist (Ghostthinker, 2021).

Über die kostenlose edubreak APP lassen sich Videos direkt mit dem Smartphone oder Tablet aufnehmen und in den erstellten edubreak CAMPUS Kurs einstellen. Die edubreak APP ist dabei sowohl für iOS und Android Smartphones und Tablets verfügbar. Über die Live-Kommentierung können Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie Lehrende noch während der Live-Aufnahme und Live-Übertragung der Videos in den gemeinsamen edubreak CAMPUS Kurs die Live-Aufnahme aufrufen und Kommentare eingeben noch bevor das Video überhaupt im edubreak CAMPUS Kurs vollständig hochgeladen ist und zur Verfügung steht. Beim Upload des Videos in den edubreak CAMPUS Kurs werden die Kommentare mit dem Video zusammengeführt. Dadurch, dass bereits Kommentare gesetzt sind, kann sofort mit der gemeinsamen Analyse und Reflexion in der Lerngruppe begonnen werden (Ghostthinker, 2021).

Mit diesem Funktionsumfang lässt sich edubreak CAMPUS sehr gut für die Individualbetreuung der Lernenden im Gesangs- und Instrumentalunterricht einsetzen. So können Dozierende ihren Lernenden eine gezielte Aufgabenstellung geben z.B., dass diese ein spezielles Musikstück einüben, sich dabei mit dem Smartphone, Tablet und der edubreak APP aufnehmen, das Video in den edubreak CAMPUS Kurs hochladen und dieses Video basierend auf vorgegebenen Punkten situationsgenau annotieren (=Videokommentar). Die Lehrenden begutachten die kommentierten Videos und versehen diese mit weiteren situationsgenauen Kommentaren und geben Verbesserungs- und Überarbeitungsvorschläge. Basierend auf diesen Vorschlägen können die Lernenden das Musikstück erneut aufnehmen, sich weiteres Feedback einholen und so ihren Lernprozess nachverfolgen. Die von den Lernenden kommentierten Videos können zusätzlich innerhalb einer Lerngruppe geteilt und die Kommentare gemeinsam direkt im Video diskutiert werden.

Blended Learning in Kombination mit Social Video Learning in der Praxis: Musik-Lehrveranstaltungen in kleineren und größeren Gruppen sowie in der Einzelbetreuung von Studierenden

In diesem Beispiel wird gezeigt, wie Musik-Lehrveranstaltungen mittels Kombination aus Blended Learning und Social Video Learning umgesetzt werden können. Denn gerade im Musikstudium lässt sich der Einzel- und Gesangsunterricht aber auch das Online miteinander musizieren und interagieren z.B. im Orchester, Chor oder Ensemble nicht mit einem reinen Selbststudium durchführen. Und genau hier kann mithilfe von Blended und Social Video Learning sowie dem zusätzlichen Einsatz von digitalen Medien eine optimale Mischung aus Selbststudium und gemeinsamen Lernen erreicht werden.

Bewährt hat es sich, das Seminar mit den synchronen Online-Phasen per Videokonferenz zu beginnen, auf welche asynchrone Online-Phasen im Learning Management System folgen. In den synchronen Online-Phasen erarbeiten die Studierenden gemeinsam mit uns Lehrenden die musiktheoretischen Seminarinhalte, um einen gleichen Wissensstand zu erreichen. Die erste Online-Phase sollte dabei zum Klären organisatorischer Details genutzt werden. Hier empfiehlt es sich verschiedenen Fragen zu klären und eine kurze Einführung in die eingesetzte Video-Lernplattform edubrak CAMPUS und die edubreak APP durchzuführen.

Zu diesen Fragen gehören u.a. Wie läuft das Arbeiten mit der Video-Lernplattform ab? Was bedeutet Social Video Learning? Welche Arbeitsaufgaben sind zu erledigen? Wie hoch ist der zeitliche Arbeitsaufwand in den asynchronen Online-Phasen? Wie erfolgt die Bewertung? Wie kann ich in den asynchronen Phasen Kontakt zu meinen Lehrenden aufnehmen?

Für die asynchronen Online-Phasen erhalten die Studierenden Zugang zur Video-Lernplattform edubreak CAMPUS, in welchem sie die Skripte aus den synchronen Online-Phasen und vertiefende Unterlagen, Videos, Links etc. in Kombination mit einer konkreten Aufgabenstellung vorfinden. Die Aufgaben bearbeiten die Studierenden dann in ihrem individuellen Tempo bis zu einem festgelegten Abgabetermin. In dieser Form wechseln sich synchrone und asynchrone Online-Phasen ab. Die Kombination aus Blended und Social Video Learning kann dabei sowohl für kleinere als auch für größere Gruppen eingesetzt werden.

In Abbildung 1 ist ein möglicher Ablauf für eine Kombination aus Blended und Social Video Learning in kleineren und größeren Gruppen dargestellt:

Abbildung 1: Blended und Social Video Learning in kleineren und größeren Gruppen von Musikstudierenden (Eigene Darstellung, Rachbauer).

Ebenso wie im Gruppenunterricht, lässt sich das Blended und Social Video Learning auch in der Einzelbetreuung von Studierenden im Gesangs- und Instrumentalunterricht einsetzen. Auch hier ist es wie im Gruppenunterricht wichtig, die erste Online-Phase zum Klären organisatorischer Details zum Kursaufbau und Kursablauf zu nutzen und den Kursaufbau in der Video-Lernplattform edubreak CAMPUS live vorzuzeigen.

In den asynchronen Online-Phasen empfiehlt es sich über das Semester verteilt jeweils eine gezielte Aufgabenstellung wie z.B. die Erstellung einer Gliederung für die Abschlussarbeit oder das Aufnehmen eines Vodcasts oder Podcasts beim Spielen eines zuvor vereinbarten Musikstücks etc. zu stellen. Zur Erstellung der Videos setzen die Studierenden die kostenlose edubreak APP ein. Die Studierenden schreiben zusätzlich selbstständig eine Reflexion, was warum gut oder nicht gut gelungen ist, was sie anders machen hätten können, wo sie Verbesserungen sehen. Das Ergebnis samt Reflexion laden die Studierenden dann in der Video-Lernplattform edubreak CAMPUS hoch, sodass die Lehrenden die Möglichkeit haben, ebenfalls Kommentare und Feedback zu hinterlassen.

In den synchronen Online-Phasen besprechen Lehrende und Studierende gemeinsam die Ergebnisse, die Lehrenden geben Verbesserungsvorschläge, die die Studierenden in den asynchronen Online-Phasen umsetzen können – dadurch können die Studierenden ihren Lernprozess gezielt festhalten und nachverfolgen. Diese beiden Phasen wechseln sich regelmäßig bis zum Semesterende ab.

In Abbildung 2 ist ein möglicher Ablauf für Blended und Social Video Learning in der Einzelbetreuung von Musikstudierenden dargestellt:

Abbildung 2: Blended und Social Video Learning in der Einzelbetreuung von Musikstudierenden (Eigene Darstellung, Rachbauer).

Fazit und Ausblick

Das vorgestellte Praxisbeispiel zeigt, dass sich die bereits in der Präsenzlehre bewährte Methode des Blended Learning in Kombination mit Social Video Learning auch in der reinen Online-Lehre umsetzen lässt. Dennoch reicht es hier nicht aus, einfach nur ein die Video-Lernplattform zur Verfügung zu stellen und Aufgaben hochzuladen. Gerade in Zeiten von Corona und der damit nicht mehr möglichen physischen Präsenztermine werden virtuelle Meetings per Videokonferenz sowie die Kommunikation über Kanäle wie Forum, Chat oder E-Mail für die Studierenden immer wichtiger, um sich gegenseitig kennenzulernen, ein Netzwerk aufzubauen und Lerngruppen zu bilden, die wiederum helfen, das Selbststudium zu meistern.

Unabhängig davon, ohne den persönlichen synchronen und asynchronen Austausch per Videokonferenz, Forum, Chat oder E-Mail fühlen sich die Studierenden zum Großteil nicht in der Lage, das in der aktuellen Situation noch intensiver zum Tragen kommende Selbststudium meistern zu können. Dies bestätigen auch die Befragungen der Studierenden mittels Fragebogen und virtuellen Gruppeninterviews in den beiden Praxisbeispielen. Die Studierenden wünschen sich gerade in Zeiten der physischen Distanz noch mehr die virtuelle Nähe zu und den Austausch mit ihren Dozierenden und Kommilitoninnen und Kommilitonen.

Aus diesem Grund ist es wichtig, die Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten zu intensivieren und bei den Aufgabenstellungen insbesondere darauf zu achten, dass die Studierenden immer wieder dazu angehalten sind, sich zu vernetzen und virtuelle Lerngruppen zu bilden, um sich so im Selbststudium besser gegenseitig unterstützen zu können.

Mehr Ideen und konkrete Anleitungen finden Sie im Selbstlernkurs “Musik unterrichten digital und online? So geht’s (nicht nur) in Zeiten von Corona”

Literaturverzeichnis

Bauer, R. (2017). Social Video Learning – ein neues Mantra für diePädagogisch-praktischen Studien? Erziehung und Unterricht, 167 (7-8), 61-64.

Ghostthinker. (21. Januar 2021). Aus dem Sport für den Sport. edubreak®SPORTCAMPUS. https://edubreak-sportcampus.de/de/content/aus-dem-sport-f%c3%bcr-den-sport [03.03.2021]

Mayer-Frühwirth, G. (2017). Social Video Learning. Kollaboratives Reflektieren in den Schulpraktika. In C. Fridrich, G. Mayer-Frühwirth, R. Potzmann, W. Greller & R. Petz (Hrsg.), Forschungsperspektiven 9 (S. 69-76). Münster: LIT.

Vohle, F. (2016). „Social Video Learning“ auf den Punkt gebracht – Medienproduktion. https://www5.tu-ilmenau.de. https://www5.tu-ilmenau.de/zeitschrift-medienproduktion/index.php/social-video-learning-auf-den-punkt-gebracht/ [02.03.2021]

Vohle, F. (2017). Social Video Learning Eine didaktische Zäsur. In Digitale Bildungslandschaften (German Edition) (1. Aufl., S. 176–185). IMC AG.

Vohle, F. (2019). „Social Video Learning“ auf den Punkt gebracht – Medienproduktion. Online-Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis Medienproduktion. https://www5.tu-ilmenau.de/zeitschrift-medienproduktion/index.php/social-video-learning-auf-den-punkt-gebracht/ [31.01.2021]

Vohle, F. & Reinmann, G. (2014). Social Video Learning and Social Change in German Sports Trainer Education. International Journal of Excellence in Education, 6(2), 1–11. https://doi.org/10.12816/0010834 [29.01.2021]

Herzlichen Dank für den Gastbeitrag an Dr. Tamara Rachbauer!

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