Wir Dozierenden kennen die virtuelle Lehre aus unserer eigenen Perspektive. Aber wie ist es, auf der anderen Seite des Bildschirms zu sitzen?

Wir freuen uns sehr, mit Ihnen hier die Perspektive der Studentin Afsaneh Taheri teilen zu können. Sie gibt uns einen Einblick darin, wie es sein kann, an unpersönlichen, distanzierten Lehrveranstaltungen teilzunehmen, und wie groß die Hemmschwelle ist, sich zu beteiligen – vor allem, wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist.

von Afsaneh Taheri

Ich sitze an meinem Schreibtisch. Mein Onlineseminar beginnt in wenigen Minuten. Ich schalte die Kamera ein, um zu sehen, ob alles gut funktioniert. Ich sehe mich. Ich sehe mein Zimmer, Kleiderschrank, Bett, Kleidung und mich in all dem. Diese Möbel sind immer da.

Foto von Anna Shvets via Pexels

Schon länger spreche ich meine Beiträge, meine Kommentare nur in meinem Kopf.

Manchmal ändere ich aus Langeweile den Platz von einigen. Es ändert sich nicht viel. Ich sehe immer diese Möbel. Und ich bin von diesen Möbeln umzingelt – schon lange. Es ist, als würde ich mich in meinem Zimmer auflösen. Es ist, als würde ich mich selbst in ein Möbelstück verwandeln. Das sehe ich in meiner Kamera. Ich schaue in meine Augen, die mich ansehen. Wie ungewohnt es ist, mein Gesicht so zu sehen – ohne Lächeln. Ich sehe mich sonst immer nur im Spiegel. Immer ein Lächeln im Gesicht. Jetzt ist mein Gesicht sehr ernst. Wie schwer es ist, mir in die Augen zu sehen. Ich denke mir, es ist besser, die Kamera auszuschalten, besser als dieses Bild die ganze Zeit vor mir zu haben. Dies wiederholt sich jeden Tag.

Es ist dunkel… Dunkle Fenster mit einem Buchstaben oder einem Namen. Meine Augen kennen sie nicht! Sie sind seit einem Jahr meine Kommiliton_innen! Mein Fenster ist auch dunkel. Ich schreibe meinen Namen in nur einem Buchstaben. Mein Name ist hier unbekannt und schwer auszusprechen.

Foto von John via Pexels

Ich finde es schön, wenn mein Name manchmal falsch ausgeprochen wird. Ich finde den Versuch, es einfach zu tun, sehr nett!

Ich bin oft eine der letzten, die zu Beginn des Unterrichts spricht und sich vorstellt, weil Menschen mit deutschen Namen die Möglichkeit haben, früher zu sprechen. Es ist einfacher, sich gegenseitig anzusprechen, den Namen auszusprechen. Oder?? Ich zögere. Ein deutscher Name wäre jetzt für sie einfacher. Das ärgert mich immer ein wenig. Ich finde es schön, wenn mein Name manchmal falsch ausgesprochen wird. Ich finde den Versuch, es einfach zu tun, sehr nett! Wenn der_die Dozent_in unterrichtet oder die Student_innen diskutieren, bin ich hier nur eine passive Zuhörerin, oft in der Küche oder unmotiviert auf dem Bett!

Unsichtbar zu sein, hat auch manchmal Vorteile.

Diesen Wunsch haben normalerweise Kinder, aber manchmal wünschte ich, ich wäre unsichtbar! Die Momente, in denen ich im Onlineseminar versuche, meine Gedanken bestmöglich auszudrücken und anderen zu erklären, was ich meine! An der Hochschule, im Seminarraum ist es einfacher. Da sehen wir uns, nehmen uns anders wahr. Wenn ich also im Onlineseminar versuche, meine Gedanken bestmöglich auszudrücken und anderen zu erklären, was ich meine! Dann waren da immer wieder diese Gesichter mit den seltsamen Blicken. Und die Konfrontation mit den Momenten der Stille! Sie haben mich vielleicht nicht genau verstanden. Niemand ist motiviert zu fragen: Was meintest du damit? Dann kommen schon die nächsten Beiträge! Sie ignorieren mich???!!! Ich wünschte, ich könnte sofort verschwinden. Ich wünschte, ich könnte denken, dass niemand Weiteres gesprochen hat, weil Kamera und Mikrofon ausgeschaltet waren. Schon länger spreche ich meine Beiträge, meine Kommentare nur in meinem Kopf.

Foto von Darwis Alwan via Pexels

Ich bin motiviert, mehr zu lernen, aktiv zu sein und achtsam zuzuhören. Es ist hier nicht wichtig, wie ich heiße, wie ich aussehe und wie ich rede.

Ah, schön! Heute Seminar mit meiner Lieblingsdozent_in und der netten Runde! Ich ziehe mich so an als ob, ich zur ASH fahren möchte! Ich werde hier meine Kamera anschalten und manchmal auch das Mikrofon! In diesem Seminar werde ich mich gerne sehen. Mein Gesicht ist nicht so ernst und ungewohnt und manchmal lächelt es hier. Ich werde hier immer gesehen und gehört. Alle meine Farben werden gesehen, meine Stimme und sogar mein Akzent werden hier gerne gehört und respektiert! Ich werde hier gefühlt! Die ganze Geschichte meines Lebens und alle meine Erfahrungen werden ohne Urteil gefühlt! Meine Stärke wird hier anerkannt! Ich fühle mich hier wohl. Meine Gedanken sind frei. Ich bin motiviert, mehr zu lernen, aktiv zu sein und achtsam zuzuhören. Es ist hier nicht wichtig, wie ich heiße, wie ich aussehe und wie ich rede. Es ist wichtig, dass ich ein Teil von ihnen und allem bin und das Universum mich eingeladen hat, mit anderen gemeinsam zusammen zu sein. Ich fühle es hier. Ich weiß es. Ich bin dankbar, dass meine dunklen Momente im Licht dieser Menschen ausgelöscht werden. Ich nehme das Licht mit und werde es weitergeben.

Afsanehs Beitrag zeigt, wie wichtig es ist, dass Studierende sich auch in virtuellen Treffen gesehen und wertgeschätzt fühlen. Wenn eine große Distanz zu anderen Teilnehmenden, zur Lehrperson gespürt wird, dann ist die Hemmschwelle groß, sich zu beteiligen.

Dozierende müssen also Strukturen für eine empathische, offene Zusammenarbeit schaffen.

Falls Sie sich fragen, wie das konkret geht, finden Sie hier Inspiration:

Danke an Afsaneh für ihren Beitrag!

Afsaneh Taheri kommt aus dem Iran und studiert Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule. Im Iran erlangte sie einen Bachelor-Abschluss in Physik.

 Sie lernte das Gebiet Sozialer Arbeit in Deutschland kennen und interessiert sich sehr dafür. Sie arbeitet neben ihrem Studium auch auf diesem Gebiet und sie glaubt, dass es ein großes Glück ist, dass das Schicksal sie zu diesem Gebiet geführt hat.

Afsaneh interessiert sich auch sehr für das Schreiben und nutzt es, um ihre Ängste, Sorgen und auch ihre positiven Gefühle auszudrücken.

Wir freuen uns über Ihr Feedback und Ihre Fragen! Sie finden uns auf Twitter oder in unserer Facebook-Gruppe.