Viele Hochschulen und Universitäten möchten zumindest soweit als möglich zurück zur Präsenzlehre. Solange jedoch weiterhin Pandemiebedingungen herrschen und die Abstandsregeln eingehalten werden müssen, sind die meisten Räume an den Unis zu klein, um alle Studierenden gleichzeitig dort zu unterrichten. Es wird deshalb immer wieder diskutiert, einen Teil einer Gruppe in Präsenz zu unterrichten und den anderen Teil via Webkonferenztool dazu zu schalten. Dieses Lehrsetting ist in der englischsprachigen Literatur als Blended Synchronous Learning bekannt.

 
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Was aber ist der Mehrwert dieses Lehrsettings gegenüber einer Teilnahme aller Studierenden an der Webkonferenz?

  • Klar, sie können sich wenigstens zum Teil (wieder)sehen; wieder mehr Gemeinschaft erleben.
  • Und wir, wir können „endlich“ wieder zum altbekannten Präsenzunterricht zurückkehren.
 

Aber didaktisch? Wie soll ein solches Lehrsetting gestaltet sein?

Ist die Hochschule nicht technisch perfekt ausgestattet (viele gute Mikrophone im Raum und mehrere Kameras), so wird die Teilnahme für die Online-Studierenden nämlich sehr mühsam:

  • Sie werden vermutlich vieles, was im Raum gesprochen wird, nicht oder nur sehr schlecht verstehen; und
  • an der Diskussion beteiligen können sie sich auch kaum.
  • Auch der Einsatz von Medien wie Pinnwand oder Flipchart sind fast ausgeschlossen, wenn nicht ständig die Kamera neu ausgerichtet werden soll;
  • zumal die Online-Studierenden sich auch hier quasi nicht beteiligen können, da sie nichts aufschreiben können.

Die Gefahr besteht deshalb, dass die Online-Teilnehmenden in einer beobachtenden Rolle „gefangen“ sind.

Aus dieser rein beobachtenden Rolle können wir als Lehrende sie nur herausholen, wenn wir die Präsenzstudierenden an die PCs oder Laptops setzen, sie also quasi in der Präsenz zumindest zum Teil auch zu Webkonferenz-Teilnehmenden machen. Dann können wir nämlich Umfragen machen, gemeinsam an einer virtuellen Pinnwand arbeiten oder sogar miteinander diskutieren (vorausgesetzt alle haben ein Headset). Warum dann nicht gleich alle in der Webkonferenz?

 

Warum wird dieses Lehrsetting auch ohne Pandemie-Bedingungen diskutiert?

Der Vorteil dieses Settings wird darin gesehen, dass es Studierenden erstens die Wahl lässt, ob sie in Präsenz oder online teilnehmen wollen. Zweitens wird durch ein solches Angebot auch Menschen der Zugang zu einem Studium oder einer Lehrveranstaltung ermöglicht, die sonst nicht teilnehmen könnten, weil sie viele Verpflichtungen wie begleitende Erwerbstätigkeit oder Kinderbetreuung oder ähnliches zu organisieren haben (Bower et al., 2014 u. v. a.). Studien (z. B. Wang et al., 2017, Bower et al., 2014) zeigen deshalb, dass die Studierenden dieses Blended Synchronous Learning schätzen.

Einen Schritt weiter als der Ansatz des Blended Synchronous Learning geht noch der sogenannte Hyflex-Ansatz (Beatty, 2019 u. a.). Hier wird neben den beiden synchronen Zugangsformen auch immer noch eine asynchrone Zugangsform angeboten.

Diese beiden Argumente sind für mich überzeugend, weshalb ich im Folgenden einige Ideen und Gelingensbedingungen für ein solches Blended Synchronous-Lehrsetting vorstellen möchte.

 

Gelingensbedingungen

Die im folgenden aufgelisteten Gelingensbedingungen sind entstanden aus meiner Lektüre vieler Publikationen und Studien zum Blended Synchronous Learning Model und zum Hyflex Model…

 

Bruff, D. (2020): Active Learning in Hybrid and Physically Distanced Classrooms. Center for Teaching at Vanderbilt. https://cft.vanderbilt.edu/2020/06/active-learning-in-hybrid-and-socially-distanced-classrooms/

Hybrid/HyFlex Teaching & Learning. Center for Teaching and Learning at Columbia University. https://ctl.columbia.edu/resources-and-technology/teaching-with-technology/teaching-online/hyflex/

Bower, M., Kenney, J., Dalgarno, B., Lee, M. J. W., & Kennedy, G. E. (2014): Patterns and principles for blended synchronous learning: Engaging remote and face-to-face learners in rich-media real-time collaborative activities. Australasian Journal of Educational Technology, 30(3). https://doi.org/10.14742/ajet.1697  

Wang, Q., Quek, C. L., & Hu, X. (2017). Designing and Improving a Blended Synchronous Learning Environment: An Educational Design Research. The International Review of Research in Open and Distributed Learning, 18(3). https://doi.org/10.19173/irrodl.v18i3.3034

 
 
 
Die Wahl geben

Die Stärke dieses des Blended Synchronous Learning ist es also, dass die Studierenden eine Wahl haben und sich dadurch wertgeschätzt fühlen. Studierende, die gerne in die Präsenzveranstaltung kommen, können diesen Zugang wählen, Studierende, die aus welchen Gründen auch immer – gerade auch in der Pandemie-Situation – von zu Hause aus teilnehmen möchten, können dies ebenfalls tun.

Dies bedeutet aber für uns als Lehrende, dass wir den Studierenden diese Wahlmöglichkeit auch geben müssen. Schreiben wir ihnen vor, wer wann in Präsenz und wann online dabei sein muss, so verliert dieses Setting seinen Vorteil direkt wieder. Aufgrund der unter Pandemie-Bedingungen begrenzten Raumsituation müssen wir hier also in irgendeiner Form Möglichkeiten schaffen, dass sich die Teilnehmenden für die Präsenz anmelden und ihnen verdeutlichen, dass sie die Wahl haben, so lange es Plätze gibt. Am besten machen wir dies wochenweise, damit alle Studierenden, die dies wünschen, auch tatsächlich die Möglichkeit erhalten, zumindest hin und wieder einen Platz in der Präsenz zu ergattern.

 
Transparenz schaffen

Eine weitere wichtige Gelingensbedingung ist ein hohes Maß an Transparenz: Die Studierenden müssen im Vorfeld sehr gut über dieses Setting und dessen Ausgestaltung mit all seinen Vor- und Nachteilen informiert werden. Wir müssen ihnen auch verdeutlichen, dass wir dieses Setting wählen, um ihnen wieder Präsenzunterricht zu ermöglichen und nicht, weil es kostensparend oder einfacher für uns ist. Und wir sollten auch hinsichtlich der Nachteile dieses Settings kein Blatt vor den Mund nehmen. Nur so können die Studierenden eine reflektierte Wahl treffen.

 
Gute Vorbereitung

Und dann braucht die Umsetzung eines solchen Blended Synchronous-Szenarios eine gut durchdachte Vorbereitung. Ohne eine solche Vorbereitung werden wir als Lehrende diese Doppelbelastung nicht aushalten und die beiden Teilnehmendengruppen nicht gerecht einbinden.

Deshalb:

  • Haben Sie in der Vorbereitung wie in der Lehrsituation selbst jeweils beide Gruppen im Blick.
  • Stellen Sie bereits vor der Sitzung alle in der Lehrveranstaltung benötigten Materialien online zur Verfügung.
 
Bei nicht perfekter (!) Technik: Alle in die Laptops

Wie oben schon beschrieben, ist es für die Online-Teilnehmenden schwer oder unmöglich, einer Diskussion in der gesamten Präsenz-Gruppe zu folgen, geschweige denn daran teilzunehmen. Auch die Arbeit mit Flipchart oder Pinnwand oder überhaupt mit Bewegung im Raum ist quasi unmöglich, ohne dass die Online-Teilnehmenden benachteiligt werden. Deshalb ist es zu empfehlen, dass alle Teilnehmenden, auch die im Seminarraum, Zugang zu einem PC oder Laptop und der Webkonferenz haben. So kann z. B. gemeinsam an einem virtuellen Whiteboard oder einer virtuellen Pinnwand gearbeitet werden.

 
Backchannel (mit Assistenz) implementieren

Um die Online-Teilnehmenden einzubinden, sollten Sie unbedingt den Textchat des Webkonferenz-Tools als Backchannel implementieren. Bitten Sie die Studierenden, dort ihre Fragen zu stellen und auch miteinander ins Gespräch zu kommen.

Da es sehr anstrengend sein kann für Sie, einerseits die Präsenzgruppe und andererseits die Online-Gruppe im Blick zu behalten, empfiehlt es sich, wenn irgendwie möglich, eine Assistentin oder einen Assistenten zur Betreuung des Backchannels zu haben.

Sollten Sie keinen Zugriff auf eine solche Unterstützung haben, so bitten Sie in der Sitzung eine/n der anwesenden Studierenden, diese Rolle zu übernehmen.

Stattdessen können Sie aber auch mit einem Patensystem arbeiten: Jede/r Studierende im Raum übernimmt die Patenschaft für eine/n Online-Studierenden, und gibt dessen Fragen oder Anmerkungen an die Präsenzteilnehmenden weiter. Dieses Paten-System bietet zusätzlich den Vorteil, dass die Studierenden sich auch zwischen Präsenz- und Online-Teilnehmenden vernetzen. Nachteilig ist aber, dass diese Paten-Situation für die Studierenden Ablenkungspotential bietet, so dass sie nicht so gut aufpassen können.

 
Behalten Sie immer beide Gruppen im Blick
  • Dazu gehört es auch, dass Sie bei unterschiedlichen Aufgabenstellungen für die Präsenz- und die Online-Gruppe diese Aufgaben am besten schriftlich vorbereiten und zur Verfügung stellen. Ansonsten müssen Sie beide Aufgaben erklären, was jeweils für die andere Gruppe sehr langweilig ist.
  • Nehmen Sie außerdem immer bewusste Positionen im Raum ein, so dass Sie auch für die Online-Studierenden stets sichtbar sind.
  • Nehmen Sie sich Zeit für den Backchannel, auch wenn dort zunächst nicht so viel kommt.
 
Geeignete Methoden
  1. Grundsätzlich sind alle Methoden denkbar, die Sie in einem reinen virtuellen Präsenzsetting nutzen könnten (Hanke, Bach & Morath, 2020):
  • Gemeinsame Arbeit an einem Whiteboard, virtuelle Pinnwand, Etherpad
  • Gemeinsames Mitschreiben/Protokollieren
  • Umfragen, Abfragen
  • Vorträge (aber bitte nur in Maßen)
  1. Sehr geeignet sind auch Gruppenarbeiten: Hier besteht die Möglichkeit, dass die Teilnehmenden im Seminarraum Gruppen bilden (Achtung: Abstandsregeln!) und sich die Online-Teilnehmenden in Break-Out-Sessions zusammenfinden. Haben alle Teilnehmenden Zugriff auf die Webkonferenz, kann man auch Präsenz- und Online-Teilnehmende mischen. Lassen Sie die Ergebnisse der Gruppenarbeiten in jedem Fall via Etherpad oder virtueller Pinnwand oder Ähnliches verschriftlichen, so dass später die Ergebnisse für alle gut sichtbar geteilt werden können.
  2. Sie können eine Diskussion im Fishbowl initiieren: Die Studierenden in der Präsenz diskutieren ein Thema, die Online-Studierenden beobachten (und protokollieren) und schildern später ihre Beobachtungen (oder stellen ihre Protokolle vor).
  3. Ebenso können Rollenspiele durchgeführt werden: Auch hier übernehmen die Online-Studierenden die Rolle der Beobachter/innen und berichten später über ihre Beobachtungen.
 
 

Fazit

Jenseits von Gruppenarbeiten, Diskussionen im Fishbowl oder Rollenspielen und Vorträgen (deren idealer Platz aber eigentlich nicht die synchronen Lehrphasen sind) ist eine methodisch abwechslungsreiche Gestaltung dieser Blended Synchronous-Lehrsettings nur möglich, wenn alle Studierenden Zugriff auf PC oder Laptop haben und in gewisser Weise aus dem Seminarraum heraus an der Videokonferenz teilnehmen können. Damit bleibt für mich klar: Der Mehrwert dieses Blended Synchronous-Lehrformates ist nur gegeben, wenn die Studierenden sich dadurch in ihrer Autonomie gestärkt sehen, weil sie selbst wählen können, wie sie teilnehmen. Fällt auch dies weg, weil man manche Studierende „zwingt“, in Präsenz teilzunehmen, so sollte man gleich ganz auf Lehre via Videokonferenz umsteigen.

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Quellen

 

Methodenideen

Bruff, D. (2020): Active Learning in Hybrid and Physically Distanced Classrooms. Center for Teaching at Vanderbilt. https://cft.vanderbilt.edu/2020/06/active-learning-in-hybrid-and-socially-distanced-classrooms/

Hybrid/HyFlex Teaching & Learning. Center for Teaching and Learning at Columbia University. https://ctl.columbia.edu/resources-and-technology/teaching-with-technology/teaching-online/hyflex/

 

Handbuch zum Blended Synchronous Learning Model

Bower, M., Dalgarno, B, Kennedy, G. E. Lee, M.J.W. & Kenney, J. (2014): Blended Synchonous Learning. A Handbook for Educators. https://ltr.edu.au/resources/ID11_1931_Bower_Report_handbook_2014.pdf

 

Forschung mit Case Studies zum Blended Synchronous Learning Model

Bower, M., Dalgarno, B, Kennedy, G. E. Lee, M.J.W. & Kenney, J. (2015): Design and implementation factors in blended synchronous learning environments: Outcomes from a cross-case analysis. Computers & Education 86, 1-7. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2015.03.006

Bower, M., Kenney, J., Dalgarno, B., Lee, M. J. W., & Kennedy, G. E. (2014): Patterns and principles for blended synchronous learning: Engaging remote and face-to-face learners in rich-media real-time collaborative activities. Australasian Journal of Educational Technology, 30(3). https://doi.org/10.14742/ajet.1697  

 

Studie zu Gelingensbedingungen des Blended Synchronous Learning Models

Wang, Q., Quek, C. L., & Hu, X. (2017). Designing and Improving a Blended Synchronous Learning Environment: An Educational Design Research. The International Review of Research in Open and Distributed Learning, 18(3). https://doi.org/10.19173/irrodl.v18i3.3034

Li, X, Yang, Y. Wah Chu, S. K., Zainuddin, Z. & Zhang, Y. (2020): Applying blended synchronous teaching and learning for flexible learning in higher education: an action research study at a university in Hong Kong. Asia Pacific Journal of Education. https://doi.org/10.1080/02188791.2020.1766417

 

Hyflex Learning Model

Beatty, B. J., ed. (2019). Hybrid-Flexible course design: Implementing student-directed hybrid classes (1st ed.). EdTech Books. Retrieved from https://edtechbooks.org/hyflex

Cambrian College Teaching & Learning Innovation Hub (2018): HyFlex Course Development Guide. https://teaching.cambriancollege.ca/wp-content/uploads/2018/03/HyFlex-Course-Development-Guide.pdf