von Tamara Rachbauer

Die biografisch-professionelle Reflexionsfähigkeit gilt an Universitäten und Hochschulen als eine der Schlüsselkompetenzen von Professionalisierungsprozessen, ohne die ein bewusstes Aneignen von neuem Wissen und neuen Fähigkeiten nicht möglich ist. Dabei sollen Studierende lernen, wie sie ihr Wissen, ihre Kompetenzen und ihre praktischen Erfahrungen in eine enge Verzahnung bringen können. Aber wie genau kann dies gelingen? Welche Angebote oder besser gesagt, welche Lehr-/Lernformate und Veranstaltungen sind hierzu im Detail notwendig?

An der Universität Passau habe ich ein entsprechendes Angebot in Form eines online-basierten E-Portfolio-Begleitseminars für reflektiertes und biografisches Lernen und Lehren entwickelt (Rachbauer, 2019). Dabei habe ich mich am Profigrafiemodell von Hansen (2012) orientiert. Dieses Modell besagt, dass es in der Lehrer*innenbildung gezielt Instrumente, Methoden und Lehr- und Lernformate wie z.B. die Arbeit mit dem E-Portfolio braucht. Denn gerade durch die E-Portfolioarbeit erfahren die Studierenden, wie sie ihre subjektiven Einstellungen und Deutungen über und zum Lehrberuf mithilfe systematischer Selbstreflexionsarbeit für den pädagogischen Alltag nutzbar machen können (Hansen, 2012; Hansen & Rachbauer, 2018; Rachbauer, 2019). Insbesondere die digitale Version des Portfolios bietet im Gegensatz zum papierbasierten Portfolio den großen Vorteil, dass die Lehrenden orts- und zeit- unabhängig auf die Inhalte zugreifen und so zeitnah und semesterbegleitend Rückmeldungen auf Reflexionen und Arbeitsaufträge geben können. Diese kontinuierlichen Rückmeldungen unterstützen die Studierenden bei der Entwicklung ihrer Reflexionsfähigkeit.

Lern- und Professionalisierungsprozesse sichtbar machen

Im Rahmen des von mir entwickelten online-basierten E-Portfolio-Begleitseminars ist es Aufgabe der Studierenden, ein semesterbegleitendes E-Portfolio zu führen, in welchem sie regelmäßig über ihren Lern- und Professionalisierungsprozess reflektieren (Hansen & Rachbauer, 2018; Rachbauer, 2019). So halten die Studierenden in den einzelnen Reflexionen ihre Erwartungen an die Inhalte des Seminars fest oder setzen sich persönliche Ziele, an denen sie im Rahmen des besuchten Seminars arbeiten möchten. Sie beschreiben nicht nur ihren IST-Stand bezüglich Fach-, Methoden-, Personal-, Sozial- und Selbstreflexionskompetenz vor dem besuchten Seminar, sondern erzählen ihre biografischen Geschichten und beschreiben ihre spezifischen, Einstellungen, Erwartungen, Ziele und Fähigkeiten (Hansen, 2012; Rachbauer, 2019).

Auf diese Weise können die Dozierenden die biografische Ausgangslage ihrer Studierenden im Rahmen des jeweiligen Seminars berücksichtigen. Gerade die Berücksichtigung dieser individuellen biografischen Ausgangslage stellt eine zentrale Säule des Profigrafiemodells von Hansen dar (Rachbauer, 2019).

Zu Semesterende beschreiben die Studierenden ihren IST-Stand bezüglich Fach-, Methoden-, Personal-, Sozial- und Selbstreflexionskompetenz nach dem Seminar. Dazu fragen sie sich, wie und wodurch sie sich weiterentwickelt haben, ob sie ihre gesteckten Ziele erreicht haben oder welche neuen Ziele sie sich für das kommende Semester setzen. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Studierenden ihren persönlichen Standpunkt zu den einzelnen Themengebieten noch einmal gezielt ansprechen, d. h. sie erläutern, was sie aus dem Seminar für sich mitgenommen haben oder welche Inhalte für sie besonders interessant waren (Rachbauer, 2019).

Im Detail besteht das E-Portfolio an der Universität Passau aus einem Prozess- und einem Produkt-E-Portfolio.

Prozess-Portfolio plus Produkt-Portfolio ist gleich e-Portfolio
Aufbau des semesterbegleitenden E-Portfolios an der Universität Passau

Eine Entwicklung nachvollziehen können: Reflexion als Prozess

Das Prozess-E-Portfolio dient den Studierenden zur semesterbegleitenden Dokumentation ihrer gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse sowie zur (Selbst)Reflexion ihres Lern- und Professionalisierungsprozesses und beinhaltet dabei folgende Bestandteile (Hansen & Rachbauer, 2018; Rachbauer, 2019):

  • Die Auftaktreflexion ist die erste Reflexion, die die Studierenden in jedem Prozess-E-Portfolio zu Beginn des besuchten Seminars verfassen. Hier halten diese ihre Erwartungen an die Inhalte des Seminars fest. Zusätzlich setzen sich die Studierenden zwei oder drei persönliche Ziele, an denen sie im Rahmen des besuchten Seminars arbeiten.
  • In den regelmäßigen semesterbegleitenden Reflexionen fassen die Studierenden die wesentlichen Kernthemen und zentralen Aussagen jeder Sitzung mit eigenen Worten zusammen.
  • Das fachsprachliche Lexikon bzw. der Index ist ein Nachschlagewerk, in dem die Studierenden Definitionen der wesentlichen Begriffe festhalten, mit denen sie sich in den einzelnen Seminaren beschäftigen. Dieser Index muss wissenschaftlich fundiert sein, d.h. mit Literaturzitaten zu den Definitionen wie z.B. Autor*in, Erscheinungsjahr, Seitenangabe und einem Literaturverzeichnis versehen sein.
  • Die Abschlussreflexion ist der abschließende bzw. der letzte Eintrag im Prozess-E-Portfolio. Hier fassen die Studierenden die im Seminar kennengelernten, fachlichen Inhalte kurz zusammen. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der persönliche Standpunkt zu den Themen. Außerdem fragen sie sich, wie und wodurch sie sich weiterentwickelt haben (Referate, Aufbereiten der Inhalte, Zeitmanagement mit dem E-Portfolio, Bewältigung der Arbeitsaufträge, wissenschaftliche Ausarbeitungen, Gruppenarbeiten im Seminar, Vorbereitung und Durchführung einer Hospitation etc.) und ob sie ihre in der Auftaktreflexion gesteckten Ziele erreicht haben oder welche Ziele sie sich für das neue Semester setzen.

 

Einen Ist-Stand analysieren können: Reflexion als Produkt

Das Produkt-E-Portfolio dient den Studierenden dazu, eine wissenschaftlich fundierte Ausarbeitung zu einem konkreten Thema, das sie im Rahmen des Seminars besonders interessiert, durchzuführen. Diese schriftliche Arbeit ist zusammen mit der Eigenständigkeitserklärung zentraler Bestandteil des Produkt-E-Portfolios. Der Inhalt des Produkt-E-Portfolios variiert je nach besuchtem Seminar. Entscheidend ist aber, dass der Produktteil zwingend wissenschaftlich fundiert sein muss (Rachbauer, 2019)

Fazit: Ein E-Portfolio im Prozess

Nach einer Pilotphase im Wintersemester 2014/15 ist das E-Portfolio-Begleitseminar bereits fest im Curriculum der Lehrer*innenbildung an der Universität Passau verankert und wird seitdem auch kontinuierlich weiterentwickelt. Aufgrund technischer Weiterentwicklungen, Updates und Neuerungen der eingesetzten E-Portfolio-Software sowie auch neuer Entwicklungen im Bereich des digitalen Lehrens und Lernens müssen im Sinne des lebenslangen Lernens – Stichwort Lifelong Learning (LLL) – immer wieder Anpassungen durchgeführt werden, um das E-Portfolio-Begleitseminar auf dem aktuellen Stand zu halten (Rachbauer, 2019).

Vielen Dank an Tamara Rachbauer von der Universität Passau für ihren spannenden Gastbeitrag! Wir finden, dass die Anregungen zur Reflexion mit einem E-Portfolio nicht nur für Dozierende relevant sind, die in der Lehrkräfte-Ausbildung tätig sind, sondern auch generell zeigen, wie wir Dozierenden unsere Tätigkeit reflektieren und immer weiter professionalisieren können.

Literaturverzeichnis

Hansen, C. (geb. Schenz, C.) (2012). LehrerInnenbildung und Grundschule: Pädagogisches Handeln im Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Person. Pädagogik: Bd. 21. München, Deutschland: Utz.

Hansen, C. & Rachbauer, T. (2018). Reflektieren? Worauf und Wozu? Arbeiten mit dem E-Portfolio – ein Reflexionsinstrument für die LehrerInnenbildung am Beispiel der Universität Passau. e-teaching.org. Portalbereich: Aus der Praxis. Abgerufen am 5. August, 2019, von https://bit.ly/e-portfolio_lehrerbildung.

Rachbauer, T. (2019). E-Portfolios als Instrument für Selbstreflexionsprozesse in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Eine empirische Untersuchung zur Implementierung von E-Portfolios in der universitären Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Reihe: Pädagogische Professionalisierung und Schule. Praxis-Forschung. Berlin, Münster, Wien, Zürich, London: LIT Verlag.

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