Effiziente Hochschuldidaktik
In dieser Reihe möchten wir Ihnen schlichte, ökonomische, aber höchstwirksame Methoden vorstellen, mit denen Sie Ihre Lehre optimieren können. Diese wissenschaftlich fundierten Modelle sind einfach und zeiteffizient, fördern aber den Lernprozess der Studierenden und erleichtern Ihnen die Lehre.
Aufmerksamkeit ist kostbar
Im digitalen Zeitalter wächst die Sorge um die Aufmerksamkeit der Menschen. „Wir schaffen es kaum mehr, die Aufmerksamkeit der jungen Leute für länger als fünf Minuten zu halten. […] Sie können gar nicht mehr anders. Das ständige Onlinesein ist eine Sucht“, lautet die typische Aussage eines Studiengangleiters in der TAZ. Selbst in Lehrveranstaltungen, die vermeintlich freiwillig besucht werden, wie z. B. Führungen durch die Universitätsbibliothek, werden sich die Lernenden immer wieder Blicke auf Instagram und Co. “erschleichen“.
Was tun? Handys verbieten? Noch lauter und bunter werden mit der Lehre? Die Kognitionspsychologie legt bessere Möglichkeiten nahe.
Aufmerksamkeit ist unverzichtbar
Die Aufmerksamkeit ist eine Voraussetzung für das Lernen. Dies liegt am Aufbau des Informationsverarbeitungssystems. Unser sensorischer Speicher ist jede Sekunde mit tausenden von Reizen konfrontiert; die meisten davon werden aussortiert und nicht bewusst wahrgenommen. Während Sie diesen Text lesen, ist Ihnen wahrscheinlich nicht bewusst, wie sich Ihr linker Fuß anfühlt (es sei denn, Ihr Schuh drückt!).
Die Reize, die wahrgenommen werden, gelangen in das Arbeitsgedächtnis, werden allerdings auch dort nach einigen Sekunden wieder ausgesiebt, sprich, vergessen, wenn sie nicht aktiv verarbeitet werden. Nur durch aktive Verarbeitung haben sie eine Chance, ins Langzeitgedächtnis zu gelangen.
Damit also nachhaltig gelernt werden kann, müssen Lernende die richtigen Reize in das Arbeitsgedächtnis übermitteln und dort möglichst aktiv bearbeiten (Baddeley, 1992). Daraus ergeben sich also drei Möglichkeiten, um die Aufmerksamkeit der Lernenden zu steuern.
1. Gut: Ablenkungen nicht eliminieren, aber minimieren
Wie Sie gerade erfahren haben, ist unser sensorischer Speicher ständig auf Ausschau nach interessanten Reizen. In einem entspannten Zustand wandern die Gedanken sprunghaft von einem Reiz und Thema zum anderen, Buddhisten sprechen vom „Affengeist“. Deshalb können Sie zwar ein Handyverbot oder freiwillige handyfreie Zonen einrichten, allerdings werden Sie niemals gegen den „Affengeist“ gewinnen. Selbst in einem kahlen Raum könnten Ihre Lernenden über den drückenden Schuh nachdenken, über das bevorstehende Mittagessen oder über den netten Film, den sie neulich gesehen haben.
Deshalb ist es wichtig, dass Sie sich nicht zu sehr bemühen, Ablenkungen zu eliminieren. Sie können sie allerdings minimieren:
- Falls Sie den Ort selbst bestimmen oder beeinflussen können, dann wählen Sie einen ruhigen Raum, der eher leer ist.
- Erzeugen Sie keine Ablenkungen:
- Hängen Sie nicht zu viele Plakate auf.
- Schalten Sie den Beamer auch mal aus, wenn Sie länger sprechen und die Visualisierung auf der Folie unnötig ist.
- Verteilen Sie keine Handouts, während Sie eine Aufgabe erklären (sondern erst danach!).
- Machen Sie Ihre Wünsche deutlich: Besprechen Sie mit der Gruppe, wie Sie zur Handynutzung, zum Essen, zum Tippen an Laptops etc. stehen.
- Wirken Sie Störungen subtil entgegen: Sollte sich ein störendes Gespräch entwickeln, dann stellen Sie sich erstmal einfach neben die betreffenden Personen, ohne sie anzusprechen. Dies allein lässt die meisten Gespräche verstummen.
2. Besser: nicht überreizen, aber reizen
Die sensorischen Speicher Ihrer Lernenden entscheiden in jedem Moment neu, welche Reize beachtenswert sind und welche nicht. Sie könnten natürlich entsprechend probieren, Ihre Lehre möglichst LAUT und BUNT zu gestalten: möglichst viele Abbildungen und Videos einsetzen, humorvoll und „cool“ sprechen, Ihre Folien mit Farben und Schriftarten überladen…
Diese Taktik kann allerdings schnell den umgekehrten Effekt haben. Ihr Publikum könnte sich überflutet und überreizt fühlen und deshalb abschalten. Abgesehen davon ist es gar nicht so schwer, eine Informationsflut auszublenden: Der sensorische Speicher gruppiert die Reize einfach und lässt sie alle unbeachtet.
Geht es Ihnen auch so? Das linke Bild überflutet mit bunten Farben, das rechte macht hingegen neugierig.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass Sie stattdessen auf sorgfältig gewählte, anregende Reize Setzen. Nach dem Motto „weniger ist mehr“ können Sie Farben, Abbildungen und Medien verwenden, solange sie didaktisch sinnvoll sind. Achten Sie darauf, dass unwichtige Informationen in den Hintergrund treten und betonen Sie die Informationen, die wirklich wichtig sind. Am besten ist es, wenn sich dabei eine Art persönlicher „Stil“ ergibt, den Sie bei Bedarf mit provokativen Ausnahmen brechen können.
Mit diesen beiden Taktiken können Sie Ihre Inputphasen ganz einfach anregend gestalten:
- Provokation: Das Gehirn reagiert auf provokative Informationen – damit ist keine moralische Empörung gemeint, sondern vielmehr eine Unbekanntheit und Überraschung. Informationen, die unerwartet sind und uns neugierig machen, werden aufmerksam wahrgenommen (Brendel, Hanke, & Macke, 2019). Sie können Ihre Inputphasen deshalb mit interessanten Bildern oder Medien, überraschenden Fakten oder einfach einer provokativen These beginnen. Einen Vortrag zum Thema Recherche könnten Sie z. B. mit der provokativen These starten: „Mehr als Wikipedia braucht man nicht für die Recherche.“ (Das motiviert mit Sicherheit zur Diskussion!)
- Storytelling: Eine Geschichte hat Charaktere, sie löst Emotionen aus und sie ist spannend. Unser Gehirn springt auf diese Elemente regelrecht an. Sie wecken Aufmerksamkeit und erhöhen den Alltagsbezug und die persönliche Relevanz, sofern sie an den Lebensbereich der Teilnehmenden angelehnt sind. Bei einem Vortrag über die Evolution könnten Sie z. B. nacherzählen, wie die Theorie entwickelt wurde und welche Reaktionen sie in der Gesellschaft ausgelöst hat.
3. Am besten: aktive Verarbeitung anregen
Selbst wenn Sie Ablenkungen minimieren und einen reizenden Vortrag halten, wird Ihr Publikum nach spätestens 20 Minuten größtenteils abschalten. Das menschliche Gehirn möchte aktiv sein und braucht dies auch, um sich Informationen überhaupt merken zu können. Deshalb sollten Sie Inputphasen auf maximal 20 Minuten begrenzen (Buchanan & McDonough, 2017). Egal, ob Sie vortragen oder einen Film zeigen: Lassen Sie die Lernenden allerspätestens nach 20 Minuten kurz aktiv werden!
Es gibt viele Lehrmethoden, die die Lernenden kurz aktivieren. Nach dem Einsatz der Methode können Sie wieder mit einer Inputphase weitermachen.
Folgende beiden Methoden eignen sich prima dazu und ermöglichen auch eine schnelle Wissensabfrage:
- Mit der „Think-Pair-Share”-Methode können Sie auch in großen Gruppen eine schnelle Aktivierung einbauen. Stellen Sie der Gruppe zunächst die Leitfrage. Im nächsten Schritt (Think) soll jede/r individuell über die Frage nachdenken und die Antwort notieren. Anschließend tauschen sich Nachbarn (Pair) über ihre Antworten aus. Im letzten Schritt (Share) werden die Ergebnisse von einzelnen Paaren im Plenum vorgestellt.
- Lassen Sie Ihre Lernenden am Ende der Veranstaltung über eine bisdrei offene Fragen nachdenken. Innerhalb einer Minute sollen sie ihre Antworten anonym auf einem Blatt notieren. Sie können diese sog. „Minute Papers“ ggf. einsammeln und beim nächsten Treffen ein Feedback dazu geben.
Sie können viel tun, um die Aufmerksamkeit Ihrer Lernenden zu gewinnen und behalten!
Sie haben in diesem Beitrag erfahren, dass die besten Taktiken zur Steuerung der Aufmerksamkeit von der Funktionsweise des Gehirns abhängig sind. Nutzen Sie also diese realistischen Strategien, um im Alltag wirklich mehr Aufmerksamkeit zu bekommen: Minimieren Sie diejenigen Ablenkungen, die Sie unter Kontrolle haben. Gestalten Sie Ihre Lehre reizend, aber nicht überreizend. Und, last but not least: Aktivieren Sie die Lernenden so oft wie möglich, auch wenn es nur kurz ist!
Zum Schluss wieder eine kleine Challenge für Sie:
Welche Impulse für Ihren Alltag können Sie aus diesem Artikel mitnehmen?
Teilen Sie sie gerne in den Kommentaren. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen!
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Literaturverzeichnis
Baddeley, A. (1992). Working memory: The interface between memory and cognition. Journal of cognitive neuroscience, 4(3), 281-288.
Brendel, S., Hanke, U., & Macke, G. (2019). Kompetenzorientiert lehren an der Hochschule. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Buchanan, H. E., & McDonough, B. A. (2017). The one-shot library instruction survival guide. ALA Editions.
[…] Grundlegende Motivation ist nötig, damit Menschen lernen, denn ohne grundlegende Motivation wird dem Lerngegenstand keine Aufmerksamkeit geschenkt. Und ohne Aufmerksamkeit erfolgt kein Lernen. […]