Seit November 2019 leite ich gemeinsam mit einem Kollegen das Anfängertraining in Wing Chun und Taekwondo an meiner Kampfkunstschule in Offenburg. Als Hochschuldozentin und Instructional Designer konnte ich schon beim ersten Training gar nicht anders, als meine Rolle als Trainerin mit meinen Erfahrungen als Hochschuldozentin zu vergleichen. Deshalb lade ich Sie heute ein zu einem Ausflug in die Welt der Kampfkunst. Was können wir von TrainerInnen in einem sportlichen Kontext lernen?
1. Das ständige Geben und Einholen von Feedback
Im Kampfkunsttraining arbeiten wir in kleinen Gruppen – TrainerInnen und SchülerInnen sind manchmal sogar im 1:1-Verhältnis. Das erlaubt es uns, den SchülerInnen ständig Feedback zu geben. Während sie Bewegungen ausführen, geben wir Anweisungen und korrigieren die Haltung. Die SchülerInnen geben sich auch gegenseitig Feedback. Es wäre undenkbar, dass es zu einer Übung kein einziges Feedback gibt. Schätzungsweise sind eher 2-5 Feedbackschlaufen pro Übung üblich. Die SchülerInnen können jederzeit Fragen stellen, und wir fragen sie auch, wie sie unsere Anweisungen wahrnehmen. Das Feedback, egal ob positiv oder negativ, ist stets handlungsbezogen und nie auf die Person gerichtet.
Hochschuldozierende und Studierende stehen wohl so gut wie nie im 1:1-Verhältnis, sondern in den meisten Fällen eher im Verhältnis von 1:25 oder gar 1:250 – deshalb werden wir wohl nie so viel Feedback anbieten können wie KampfkunsttrainerInnen. Allerdings können wir probieren, häufigeres Feedback anzubieten – und sei es „nur“ Peerfeedback, eine Musterlösung, Diskussion der Erfahrungen, Positiv- oder Negativbeispiele… Und auch in der Lehre gilt: Wir sollten unser Feedback auf die Handlung beziehen und den Studierenden zeigen, dass Fehler kein Problem sind.
2. Der Glaube an das heterogene Potential aller Lernenden
Die Gründer meiner Kampfkunstschule haben erkannt, dass alle KampfkünstlerInnen unterschiedliche Persönlichkeiten und Stile haben. Aus dieser Erkenntnis entwickelten sie ein Modell der fünf Elemente, das besagt, dass jede Persönlichkeit eine einzigartige Mischung von fünf Elementen – Erde, Feuer, Wasser, Luft, Blitz – aufzeigt. Entsprechend bewegen sich Menschen je nach Element eher blitzschnell, aggressiv, defensiv, standhaft, fließend usw.
Diese Heterogenität wird im Training geschätzt und gefördert. Wir alle – TrainerInnen wie SchülerInnen – werden dazu ermutigt, unser „Hauptelement“ zu entdecken und die entsprechenden Stärken auszunutzen. Die ebenfalls vorhandenen Schwächen müssen wir natürlich ausgleichen. Es gibt also keine „falschen“ Elemente. Die Bezugsnorm für Erfolg ist individuell, das heißt, es zählt nur, ob man seine eigene Leistung verbessert hat. Der soziale Vergleich ist nicht wichtig – darauf weisen wir auch explizit hin.
Auch Hochschuldozierende können von eigenen Fehlern und Entwicklungen erzählen und explizit darauf hinweisen, dass die persönliche Entwicklung zählt (das sollte sich möglichst auch im Leistungsnachweis widerspiegeln), dass jede/r es mit der Zeit schaffen kann, und dass es unterschiedliche Wege gibt, als WissenschaftlerIn bzw. Berufstätige/r „erfolgreich“ zu sein. Eine Wertschätzung des heterogenen Potentials aller Studierenden halte ich auch an Hochschulen für unverzichtbar.
3. Lernen muss Spaß machen
Training muss Spaß machen – bei einer düsteren, unfreundlichen Stimmung wäre die Kampfkunstschule wohl bald pleite. Im Sport duzt man sich generell, was die Hierarchie zwischen TrainerInnen und SchülerInnen abbaut. In meiner Kampfkunstschule wird besonders viel Wert auf Humor gelegt, auch auf die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können. Sogar in anstrengenden Situationen, die buchstäblich schweißtreibend sind, können wir einen Grund finden, um zu lachen.
Gerade in Deutschland gibt es die Tendenz, eher ernst und förmlich zu sein. Meiner Erfahrung nach schätzen es Studierende, wenn Dozierende ihnen auf Augenhöhe begegnen und ab und zu ihren Humor hervorkommen lassen. Natürlich ist auch hier wichtig, authentisch zu sein und sich nicht zu verstellen.
4. Man lernt nie aus
Es gibt kein wirklich endgültiges Ziel in der Kampfkunst. Man kann immer noch ein bisschen besser, schneller oder stärker werden. Ich trainiere AnfängerInnen, bin aber größtenteils selbst noch Schülerin und werde dies ein Leben lang bleiben. Meine TrainerInnen lernen auch noch weiter. Selbst die Weltbesten in jedem Sport suchen sich immer neue Herausforderungen und tauschen sich gerne mit anderen aus. Als Hochschuldozierende sollten wir uns nicht als „fertige“ WissenschaftlerInnen darstellen, die den „unfertigen“ Studierenden etwas zu erzählen haben. Wir sind zwar weiter als die Studierenden, aber wir reisen alle auf einem langen Weg. Eine solche Haltung zu kommunizieren, zeigt den Studierenden, dass Fortschritte möglich sind und nimmt ihnen den Perfektionsanspruch, der bekanntermaßen zu Prokrastination und Ängsten führen kann.
5. Das „Warum“ steht im Vordergrund
Bei der Kampfkunst steht die praktische Anwendung im Vordergrund. Die häufigste Frage der SchülerInnen lautet „Wieso?“ Im Training erklären wir immer und immer wieder, wieso wir bestimmte Dinge tun und wie die Übungen sich auf einen echten Kampf übertragen ließen. Dass es aber oft erhebliche Unterschiede zu einem realen Kampf gibt, machen wir auch deutlich.
Diese Lektion aus dem Training finde ich am allerwichtigsten für Hochschuldozierende: Das „Warum“ sollte stets im Vordergrund stehen. Warum diese Inhalte, diese Aktivität? Wo gibt es praktischen Bezug, wo gibt es Unterschiede zur Praxis? Wenn Studierende die Relevanz von Inhalten und Arbeitsaufträgen verstehen, sind sie motivierter und bauen reichhaltige mentale Modelle auf, die sie später in der Praxis wirklich nutzen können.
Fünf Dinge, die Hochschuldozierende von Kampfkunst-TrainerInnen lernen können
Hier sind also nochmal zusammengefasst die fünf Faktoren, die aus meiner Sicht sowohl in einer Kampfkunstschule als auch in einem Hörsaal erheblich zum Lernerfolg und zur Motivation beitragen:
- Möglichst oft Feedback geben und nehmen
- Heterogenität wertschätzen und fördern
- Mit Freude und Humor lehren
- Den eigenen Lernprozess vorantreiben und mit den Lernenden teilen
- Die Relevanz von Inhalten und Aktivitäten möglichst oft verdeutlichen
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[…] Im Sporttraining erhalten Lernende hunderte, wahrscheinlich sogar tausende Feedbacks, bevor sie jemals in irgendeiner Form geprüft werden. Es ist selbstverständlich, dass etwas Neues nicht auf Anhieb klappt, sondern dass Übung notwendig ist. Auch die „besten“ Hochschuldozierenden teilen diese Sicht. Sie überlegen sich deshalb, wie die Studierenden möglichst viel Feedback zu ihrer Leistung erhalten können, bevor sie bewertet wird: z. B. durch Peerfeedback, Selbsteinschätzungen, Online-Tests, Musterlösungen, Diskussionen, Veröffentlichung von Texten im Internet oder Audio-Feedback bzw. ein kurzes schriftliches Feedback von Dozierenden. […]