Schon vor einem Jahr erschien Ninas Interview mit mir. Nun ist es höchste Zeit, dass auch Nina ein paar Fragen beantworten muss. Wir haben uns neulich über ihre Erfahrungen im Studium unterhalten, die sie inzwischen aus der Sicht einer Berufstätigen und Instructional Designerin bewerten kann.

Uli: Nina, Du hast 2018 Deinen Masterabschluss an der Uni Freiburg gemacht. Wenn Du zurückblickst: Wie gut hat Dich aus Deiner Sicht die Universität auf die Zukunft vorbereitet?

Nina: Ich bin grundsätzlich zufrieden damit, wie wir auf das „echte Leben“ vorbereitet worden sind. Ich denke, da gibt es Studiengänge, wo wesentlich mehr Potential verloren geht. Was ich in meinen Studiengängen geschätzt habe, war die Priorisierung von Verständnis und Anwendung. Es gab selten Klausuren, wo wir auswendig lernen mussten, selbst in der Statistik haben wir meistens eher praktische Tätigkeiten geübt. Im Master gab es sogar ein Forschungspraktikum. Es wurden sehr oft Lerntagebücher und Portfolios geschrieben oder Concept Maps entworfen, das war sehr wertvoll, um einen Überblick über das Gelernte zu bekommen und eine eigene Position zu den Inhalten des Studiums zu finden. Ich schlage heute noch oft in meinen alten Lerntagebüchern Dinge nach. Im Studium habe ich also wenig „träges Wissen“ erworben, das mir heutzutage nicht mehr verfügbar ist, sondern vielmehr ein persönliches und relativ robustes mentales Netzwerk aus zahlreichen Modellen und Theorien entwickelt.

Zukunftsträchtig waren auch die vielen praktischen Erfahrungen: Im Bachelor musste man 12 Wochen Praktikum absolvieren, das habe ich zwar damals etwas ungern in Angriff genommen, aber nachträglich war das natürlich eine unheimlich wertvolle Erfahrung. Es gab im Bachelor wie auch im Master jeweils eine Lehrveranstaltung, in der man an einem Projekt mit richtigen Auftraggebern von außen zusammenarbeiten durfte. Das war ganz lehrreich und intensiv. Diese Projektarbeit bildete für uns einen geschützten Raum, in dem man Erfahrungen sammeln und Dinge ausprobieren durfte – schließlich zählte am Ende nicht, wie im Beruf, die Meinung des Auftraggebers, sondern nur die des Dozenten. Diese Projektarbeiten waren teilweise sehr herausfordernd, auch weil die Gestaltung der Zusammenarbeit im studentischen Team nicht immer einfach war. Aber nur so haben wir an unseren Sozialkompetenzen, methodischen Kompetenzen, an der Kreativität und Kooperation arbeiten können…

Super fand ich auch, dass das Studium trotzdem nicht allzu viel Zeit in Anspruch genommen hat und ich nebenher immer jobben konnte. Ich habe sehr schnell einen Hiwi-Job an unserem Institut ergattert und so natürlich noch viel mehr Erfahrungen gesammelt. Zusätzlich hatte ich fast immer einen zweiten Job. Diese waren zwar nicht immer unmittelbar fachlich relevant – ich war z. B. International Tutor für das Studierendenwerk oder Hilfskraft in der Verwaltung eines Fraunhofer-Instituts – aber auch dort habe ich ganz viel fürs Leben gelernt. Und die Jobs, die fachlich relevant waren – wie meine Zusammenarbeit mit Dir! – waren natürlich am allerschönsten. Ich finde es wichtig, dass ein Studium Raum lässt für solche Erfahrungen. Wenn ich mir anschaue, wie es Studierenden geht, die während ihres Studiums aus unterschiedlichen Gründen kaum berufliche oder praktische Erfahrungen sammeln konnten, dann bin ich ganz schön froh, dass ich nicht so ins kalte Wasser springen musste nach meinem Abschluss.

Uli: Was hat aus Deiner Sicht gefehlt? Und warum?

Nina: Gefehlt hat bei uns natürlich auch einiges. Die Lehre war zu repetitiv, es hätte viel mehr Abwechslung geben können. Man merkte einfach, dass die Dozierenden an ihren Promotionen gearbeitet haben und deshalb keine Zeit und Lust hatten, um ein Flipped Classroom oder Projektbasiertes Lernen für uns zu entwickeln. Es scheint mir, als hätte sich dieses Problem mit der Zeit sogar verschlimmert: Es wurden nach und nach immer mehr Seminare angeboten, die für uns inhaltlich gar nicht relevant waren, weil sie stark auf die Schule fokussiert waren. In unseren Studiengängen geht es per Definition eigentlich nur um die Erwachsenenbildung. Aber unser Institut bildet auch Lehramtsstudierende aus. Wenn man uns in Seminare schickt, die eigentlich für die LehrämtlerInnen gedacht sind, spart das natürlich ganz schön viel Geld. Und so kam es, dass wir immer häufiger zusammen mit Lehramtsstudierenden in irgendwelchen komischen Lehrveranstaltungen saßen, die vom Konzept her so verdreht wurden, dass es auf Papier sinnvoll erschien. In der Realität war es natürlich alles andere als sinnvoll. Die LehrämtlerInnen haben übrigens auch darunter gelitten.

Außerdem fehlte mir im Studium immer wieder die Tiefe und Herausforderung. Es war nicht schwer, gute Noten zu bekommen, viele KommilitonInnen haben sich durch das Studium „gechillt“. Diskussionen blieben oft etwas oberflächlich, viel zu oft wurden Inhalte in mehreren Lehrveranstaltungen wiederholt, weil keine Absprache zwischen den Dozierenden stattgefunden hat. Die fehlenden Ressourcen haben dazu geführt, dass „ausreichend gute“ Lehre geplant wurde und nicht eine wirklich qualitative Lehre. Heute ist mir erst bewusst, wie viel mehr ich hätte im Studium lernen können. Es ist schon schade, dass dieses Potenzial verloren ging! Aber wie gesagt: Es hätte auch viel schlimmer sein können.

Uli: Hättest Du als Studenten auch mehr zu Deiner Weiterentwicklung beitragen können?

Nina: Ja, ich bedauere, dass ich nicht früher meine Lernprozesse und Literatur besser verwaltet habe. Ich hätte gerne früher angefangen, Citavi zu nutzen – so richtig nötig war das erst bei der Masterarbeit. Außerdem hätte ich gerne für mich mehr persönlich reflektiert, überlegt, was mir wichtig ist und was ich in die Zukunft mittragen möchte. Dazu hätte ich regelmäßig Lerntagebücher schreiben können, aber nur für mich selbst, nicht für im Rahmen der Seminare. Das wichtigste Wissen hätte ich dann gerne für mich auswendiggelernt – denn das habe ich neulich angefangen und ich empfinde es wirklich als Bereicherung, sich auf einer ganz persönlichen Art und Weise strukturiert weiterzubilden.

Die Uni Freiburg. Foto von AlterVista über Wikipedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0.

Uli: Wie sollte sich aus Deiner Sicht die universitäre Lehre in den nächsten Jahren verändern, um die Studierenden auf die Zukunft vorzubereiten?

Nina: Hochschulen müssen Weiterbildungen – nicht nur Workshops, sondern auch Onlinekurse – bereitstellen, um Dozierende systematisch auf eine Lehrtätigkeit vorbereiten. Lehrveranstaltungen müssen sinnvoll, nicht mit „One Size Fits All“-Evaluationsbögen evaluiert werden. Und es muss dringend mehr Absprache unter den Dozierenden her. Es kann nicht sein, dass Inhalte im Studium drei oder vier Mal als etwas Neues präsentiert werden. Aber all das kostet die Dozierenden Ressourcen – diese müssen erstmal freigeräumt werden. Letztlich wird sich nur etwas ändern, wenn die Lehre mehr Wertschätzung erhält. Diese Wertschätzung muss sich in der Hochschullandschaft kulturell verankern, aber auch wirtschaftlich im Sinne von Arbeitszeit und Gehalt widergespiegelt werden. Ich bin der Meinung, dass Dozierende generell schon gute Lehre machen werden, wenn man ihnen die Zeit, das Gehalt und etwas unterstützende Ressourcen gibt. Übergreifende Projekte, die von oben zu viel Struktur vorgeben und den Dozierenden ihre Freiheiten rauben, gehen in die falsche Richtung.

Uli: Welchen ganz konkreten Tipp würdest Du als Instructional Designerin Dozierenden geben, wenn diese ihre Lehre zukunftsfähig halten und machen möchten?

Nina: Ganz konkret sollte sich wirklich jede/r mit einem oder mehreren innovativen Lehrkonzepten auseinandersetzen, die die Studierenden aktivieren, wie dem projektbasierten, problembasierten oder forschenden Lernen, dem Working-Out-Loud, Service Learning oder natürlich Flipped Classroom. Selbst wenn man „nur“ eine dieser Methoden kennt und angemessen umsetzen kann, verbessert sich die Qualität der Lehre massiv. Natürlich braucht es etwas Zeit, sich darin einzuarbeiten, das ist klar. Und bei der ersten Durchführung wird es vielleicht etwas ungewöhnlich sein und irgendwo hapern. Aber unter dem Strich spart man damit sogar Zeit und Aufwand. Denn diese Lehrkonzepte verändern ja die Rolle der Dozierenden: Anstatt als ExpertIn für alle Inhalte dazustehen – was ja schon anstrengend ist, gerade für Promovierende, die selbst erst vor kurzem ihren Abschluss erlangt haben – ist man nun BegleiterIn und ExpertIn für den Prozess. Die Studierenden erhalten mehr Verantwortung für die inhaltliche Ausarbeitung, als Dozent/in steuert man eher. Mithilfe von Online-Lernumgebungen und der zahlreichen Lernmaterialien, die es heutzutage gibt, kann man sich somit sehr viel Arbeit sparen, vor allem bei wiederholten Durchführungen. So kann jede und jeder Dozierende dazu beitragen, dass die Lehre zukunftsfähig wird und bleibt.

Uli: Danke Dir für das Gespräch.

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